Am 10. und 11. September werden die Red Bull Cliff Diving World Series nach 4 Jahren wieder nach Sisikon zurückkehren. Die weltbesten Athleten in dieser spektakulären Sportart werden sich während dieser 2 Tage aus bis zu 27 Metern Höhe mit atemberaubenden Sprüngen in den Vierwaldstättersee stürzen. Mit dabei sein wird auch Matthias Appenzeller, der beste Schweizer High Diver. Im Vorfeld durfen wir ihm einige Fragen stellen und erfahren, was ihn an dieser Sportart so fasziniert, was die Schwierigkeiten als Spitzenathlet in einer Randsportart sind und wie er Beruf und Sport unter einen Hut kriegt.
Du bist der erfolgreichster High Diver der Schweiz. Wenn man von High Diving spricht, fragen viele Leute erst einmal, was dies überhaupt sei. Wie bist du zu dieser eher unbekannten Sportart gekommen?
Die meisten High Diver kommen über das konventionelle Wasserspringen zu ihrer Sportart. Es ist auch möglich, von anderen Sportarten wie Kunstturnen und Trampolin zu transferieren. Dies ist aber eher unüblich. Durch die enormen Kräfte, die beim High Diving auf den Körper wirken, kann man diesen Sport erst mit gewissem Alter professionell ausüben. Dies bedingt also, dass man sich die Grundausbildung und die Körperspannung anderswo aneignet. Kaum ein High Diver weiss schon als Kleinkind, dass dies seine Traumsportart ist.
So erging es auch mir. Zahlreiche Jahre war ich Teil des Schweizer Nationalkaders im Wasserspringen und durfte die Schweiz an mehreren Jugendeuropameisterschaften und einer Juniorenweltmeisterschaft (Adelaide) vertreten. Nachdem ich aus gesundheitlichen und ausbildungsbedingten Gründen mit dem Wasserspringen aufgehört habe, zog es mich zuerst langsam, dann immer intensiver ins High Diving, wo ich meinen ersten Welt Cup und Red Bull World Series Event im Jahr 2018 absolvieren durfte.
Was fasziniert dich an dieser Sportart, trotz des gesundheitlichen Risikos, das man bei einem solchen Sprung eingeht, sich aus dieser Höhe in Wasser zu stürzen?
Man muss sowohl körperlich wie auch mental absolut bereit sein. Dieses Zusammenspiel von Psyche und Körper, zusammen mit dem gewissen Kick ist einzigartig. Viele Leute sehen nur die Wettkampfsprünge, jedoch ist das akribische Training – d besonders in der «Off-Season» – intensiv und es braucht viel Arbeit, um solche Sprünge von bis zu 27m vorbereiten zu können.
Ebenfalls zentral ist für mich der familiäre Zusammenhalt, welcher in dieser Sportart herrscht. Durch das doch bestehende gesundheitliche Risiko und die noch junge Geschichte, welche den Sport in eine gewisse Nische drängt, steht man als Sportler nahe zusammen, reist und trainiert zusammen. Dies ist sehr schön. Nationale Grenzen, Delegationen und Teams kennen wir nicht. Wir springen alle miteinander von diesen Plattformen und alle jubeln für die anderen. Das ist extrem schön und auch einzigartig.
High Diving ist wie bereits angesprochen nicht ganz ungefährlich. Ein kleiner Fehler und man landet falsch auf der Wasseroberfläche, die dann zu "Beton" werden kann. Hattest du selber auch bereits schwerere Verletzungen von einem missglückten Sprung davongetragen?
Zum Glück hatte ich noch nie einen Fehlsprung und dementsprechend auch keine schwerwiegenden Verletzungen im Zusammenhang mit High Diving. Allgemein sind sich die Sportler dem Risiko bewusst und trainieren hart, die Sprünge von 27m gut reinzubringen. Wenn sich jemand unsicher ist, ob er für einen neuen Sprung von dieser Höhe bereit ist, dann macht er lieber noch einige Vorbereitungssprünge von tieferen Plattformen. Unfälle mit Verletzungsfolge sind daher rar. Der Druck auf den Körper ist jedoch immens und somit sind – nach bspw. einer langen Wettkampfwoche – gewisse Abnutzungserscheinungen unvermeidlich. Zum Glück haben wir immer sehr fähige Physiotherapeuten vor Ort, die uns behandeln und bereits kurz nach den Sprüngen die Muskulatur einer Behandlung unterziehen. Solche muskulären Probleme sind häufig im High Diving, jedoch m.E. nicht unbedingt mehr als bei anderen Sportarten mit hoher Belastung.
Diving ist an sich schon eine sehr kleine Sportart in der Schweiz, die High Diver bildet da noch eine viel kleinere Gruppe. Entsprechend ist ja auch nur wenig Austausch mit anderen Athleten möglich, die Trainingsmöglichkeiten, das Know-How sind beschränkt. Wie schafft man es trotzdem international mit der Konkurrenz mithalten zu können?
Obwohl die High Diving-Community in der Schweiz vergleichsweise gross und sehr vielseitig ist, gibt es nicht viele Athleten auf internationalem Level. Dadurch, dass die Sportart sehr klein ist, hat man sich jedoch früh international vernetzt und der Kontakt zu Springern aus anderen Nationen aus näherem Umfeld, aber auch aus weiter entfernten Ländern ist gross. Daher schaut man als High Diver gerne mal über die nationalen Grenzen hinaus und tut sich für ein Trainingslager mit Springern aus den unterschiedlichsten Ländern zusammen. Dies ist eine extreme Bereicherung für den Sport und den Zusammenhalt zwischen den Athleten.
Auch das Coaching läuft ähnlich ab. Die Athleten coachen sich gegenseitig und geben sich Tipps. Ebenfalls läuft viel über Social Media. Man schaut sich Sprünge anderer High Diver und deren Trainingsroutinen an und probiert diese – mit dem eigenen Twist – zu imitieren. Gerne darf es aber auch mal ein Training mit dem lokalen Turmspringverein sein. Auch diese Trainings und Inputs können von grossem Wert sein.
Wie kann man sich dein Training vorstellen? Ich nehm an, du kannst nicht täglich deine Sprünge trainieren, wie dies beispielsweise bei einem Sprung vom 3 Meter in einem Schwimmbad möglich ist. Die Möglichkeit aus 27 Metern in irgendeinen See zu springen, wird wohl noch begrenzter sein als die Trainingsgelegenheiten der Wasserspringer.
Man kann sich dies vorstellen wie ein Puzzle. Wie beim Wasserspringen trainieren wir Absprünge, die Flugphase und das Eintauchen. Bei uns sieht eine solche Eintauchübung einfach ein wenig anders aus – nämlich Fusswärts. Ebenfalls wir einen grossen Wert auf die Drehelemente gelegt. Da wir die beiden «Puzzleteile» also Drehungen und die letzte Phase des Sprunges, also den letzten Salto, erst von 27m zusammensetzen können, müssen die Drehelemente absolut im Gehirn – im sogenannten Muscle Memory – verankert sein. Man hat beim Sprung nicht mehr Zeit, über die Teilelemente nachzudenken. Dies muss absolut automatisiert vor sich gehen. Daher spielt auch das Mentaltraining eine sehr grosse Rolle.
Der grösste Teil des Trainings spielt sich von 5-10m ab. Dies nicht nur, weil die Anlagen viel zugänglicher sind, sondern auch wegen der körperlichen Belastung. Oft kann man Sprünge von 27m erst am Wettkampfsort trainieren, da solche Anlagen nur sehr vereinzelt dauernd für Trainings zur Verfügung stehen. Meines Erachtens gibt es momentan 3-4 solche fixen Trainingsanlagen.
Welche Rolle spielt bei deiner Sportart der mentale Aspekt, die Einstellung gegenüber dem Risiko? Hilft dir hierbei ein Mentaltrainer?
Auf die Bedeutung des mentalen Aspekts wurde bereits oben eingegangen. Ob ein Mentaltrainer beigezogen werden soll, ist für jeden Springer unterschiedlich. Für mich persönlich ist dies nicht notwendig. Ich habe meine eigene Vorgehensweise und meine eigenen Rituale entwickelt, wie ich mit Stresssituationen umgehe, das Risiko einschätze und wie ich solche Sprünge mental visualisiere. Ich kenne aber Springer, die mit Mentaltrainern arbeiten. Speziell bei Blockaden oder nach einem Crash kann dies sehr hilfreich sein.
Du bist neben deiner sportlichen Karriere auch beruflich erfolgreich. Du hast dich für eine Laufbahn als Anwalt entschieden. Wie hast du es geschafft beides unter einen Hut zu bringen?
Beide Teilbereiche meines Lebens sind für sich schon sehr intensiv. Um sowohl im Cliff Diving den Anschluss an die Weltspitze zu behalten und das Studium der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Zürich mit dem Prädikat «Summa cum laude» abzuschliessen, sind extreme und genaue Planung, Weitsicht und noch mehr Disziplin unumgänglich. Ebenfalls grundlegend ist ein Umfeld, welches ein gewisses Verständnis zeigt und einen in sehr stressigen Situationen unterstützt und einem emotionalen Rückhalt gibt.
Es half mir, dass ich mein eigener Coach war und meine Trainingszeiten selber einteilen konnte. Da ich doch sehr fleissig und zuverlässig bin, konnte ich meine eigenen Trainingspläne persönlich gestalten und diese in der Regel auch einhalten. Es gab jedoch selten Wochenenden, wo ich nicht entweder an einem Wettkampf oder Lehrgang war oder in der Bibliothek Bücher gewälzt habe. Da ich auch während dem Studium noch Teilzeit berufstätig war, war Druck während dem Studium folglich extrem hoch.
Hier half mir sicher auch meine sehr zielstrebige Art. Ich habe solche Herausforderungen immer geschätzt und die Höchstleistung abzurufen und Bestleistungen zu erbringen, ist für mich eine Prämisse jedes Tätigwerdens. Hier ist das egal, ob die Tätigkeit beruflicher, privater oder doch sportlicher Natur ist. Die Liebe für den Sport und das grosse Interesse an den Rechtswissenschaften halfen sicher auch ein gutes Stück.
Dies scheinen auf den ersten Blick zwei völlig unterschiedliche Welten zu sein. Gibt es dennoch Parallelen? Welche Fähigkeiten, die du im High Diving benötigst bzw. erlernt hast, bringen dich auch in deinem Beruf weiter, und umgekehrt?
Obwohl in der Juristerei eine ruhige und bedachte Art grundlegend ist und beim High Diving viel Adrenalin und stressige Wettkampfsituationen die Regel sind, ergänzen sich doch beide Bereiche sehr gut. Einerseits schätze ich den Ausgleich, den mir meine berufliche Tätigkeit im Büro ermöglicht. Ruhiges und akribisches Arbeiten in einem strukturierten Arbeitsumfeld gefallen mir sehr. Jedoch gefällt mir auch das High Diving mit seinem Showcharakter. Ich mag es mit dem Publikum zu interagieren und der gewisse Kick, welchen die Sprünge aus 27m ermöglichen, immer wieder zu erleben.
Was beiden Bereichen gemein ist, ist das akribische Arbeiten – speziell in der «Offseason». Auch im Sport ist strukturiertes Training mit einer genauen Zielstellung wichtig. Besonders beim High Diving, wo der mentale Aspekt eine grosse Rolle spielt, muss das vielseitige Training gut ausbalanciert sein. Auch in den Rechtswissenschaften ist genaues Arbeiten und gutes Zeitmanagement eine absolute Grundvoraussetzung für ein erfolgreiches Tätigsein.
Im August warst du an der EM in Rom mit dabei. Das erste Mal überhaupt war deine Sportart in die EM der LEN integriert. Ein Meilenstein fürs High Diving und eine tolle Plattform für euren Sport und für euch Springer. Am anschliessenden Nationencup konntet ihr euch den 3. Platz sichern. Herzliche Gratulation dazu! Wie bist du mit deinem Abschneiden zufrieden? Und wie hast du die EM als Ganzes erlebt?
Mit dem Nations Cup bin ich sehr zufrieden. Nach 3 anstrengenden Wettkampftagen konnten Jean-David Duval und ich nochmals unsere Leistung abrufen und drei sehr gute Sprünge ins Wasser bringen. Im Hinblick auf die starke Konkurrenz sind wir mit unserer Leistung sehr glücklich. Auch das Format mit Einzel- und Synchronsprüngen ist sehr gelungen und ansprechend.
Im Einzelwettkampf sehe ich noch grosses Verbesserungspotential. Hier konnte ich mehrheitlich die Leistung aus dem Training nicht abrufen. Obwohl die Platzierung nicht gross unter den Erwartungen blieb, hätte ich mir persönlich doch mehr von meiner Performance erwartet. Zum Glück bietet sich mir bald eine weitere Chance, mein Potenzial zu demonstrieren.
Durch meine Vergangenheit als «konventioneller» Wasserspringer habe ich den gemeinsamen sportübergreifenden Wettkampf und die gute Atmosphäre sehr geschätzt. Ich konnte alte Freunde treffen und einen guten Austausch mit den Sportlern des Wasserspringens führen. Das war sehr schön. Auch die Anlage war phänomenal. Auch die Stadt Rom hat mir gefallen. Insgesamt kann man den Wettkampf sicher als sehr gelungen bezeichnen. Ich würde mich sehr freuen, wenn die LEN unseren Sport ab jetzt immer oder möglichst oft integriert und wir ein fixer Bestandteil der Aquatics EM werden.
Jetzt bist du bereits vor 4 Jahren in Sisikon am Start gewesen? Was sind deine schönsten Erinnerungen daran? Worauf freust du dich am meisten beim anstehenden Wettkampf im September?
Die Atmosphäre am Vierwaldstättersee mit den Bergen und der Umgebung ist einzigartig. Die Plattform ist unglaublich schön und der sehr geschichtsträchtige Ort macht einem Gänsehaut. Das ich nun nochmals zurückkehren darf, an den Ort wo für mich alles begann, stimmt mich überglücklich. Es war eine unglaubliche Erfahrung, die ich nie mehr vergessen werde.
Natürlich hoffe ich, dass der Event dieses Jahr sowohl für mich als auch für die Organisatoren ein solcher Erfolg wird. Die Konkurrenz ist jedoch extrem und eine gute Platzierung zu erreichen nahezu unmöglich – hier muss man realistisch sein. Um dieses Level zu erreichen, muss man den Sport voll professionell ausführen. Eine berufliche Tätigkeit als Jurist ist nebenbei nicht möglich. Mein Ziel ist es daher, 4 gute Sprünge ins Wasser zu bringen, für das Publikum eine gute Show abzuliefern und Spass zu haben. Meistens passieren dann ja auch die besten sportlichen Leistungen 😉
Herzlichen Dank an Matthias Appenzeller für diesen kleinen Einblick ins High bzw. Cliff Diving und sein Leben!